Die „Gewaltenteilung“ sorgt in demokratisch geprägten Ländern dafür, dass die Machtverhältnisse der verantwortlichen Personen begrenzt sind. Das Parlament macht die Gesetze (Legislative), die Regierung führt sie aus (Exekutive) und die Justiz sorgt für die Bestrafung, falls die Gesetze nicht eingehalten werden (Judikative). Das Straf-Gesetzbuch aus dem Jahr 1871 regelt und definiert im deutschen Recht strafbare Handlungen. Einer der am meisten strapazierten Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch dürfte der § 185 sein, der sich mit dem Begriff der „Beleidigung“ befasst:
- 185 STGB Beleidigung: Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Damit regelt der § 185 zwar, wie eine Beleidigung bestraft wird, bietet aber keine konkrete Definition, wann eine Beleidigung vorliegt. Hierzu muss man dann die zahlreichen Kommentare zu diesem Paragraphen zu Hilfe nehmen und die „Kärrnerarbeit“ des Juristen besteht ja darin, nicht nur alle Gesetze zu kennen, sondern auch über sämtliche Urteile und Kommentare zur aktuellen Rechtsauslegung informiert zu sein.
Zu dem in den vergangenen Tagen viel zitierten „Schmähgedicht“ des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Erdogan, habe ich meine eigene Meinung. Im Gegensatz zu allen „Verfechtern der Pressefreiheit“ sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: „Satire darf auch nicht alles!“. Im Vorspann seines umstrittenen Beitrags beruft sich Böhmermann auf Artikel 5 des Grundgesetzes „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Aber wie oft hat man schon die Bemerkung gehört: „Dieser Satz wurde aus dem Zusammenhang gerissen.“ Im Fall Böhmermann ging auch die weitere Vorbemerkung „Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen“ bei den meisten in der ersten Wahrnehmung unter. Und das, was er dann von sich gegeben hat, fällt definitiv unter Absatz 2 des o.g. Artikel 5: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Jetzt mal völlig unabhängig davon, wer da wen tituliert. Wir überlegen uns bei der Limburger Zeitung dreimal, ob wir anstatt „Arsch“ in einem Artikel doch nicht lieber den sanfteren Begriff „Hinterteil“ verwenden und der Böhmermann kippt hier einen Lastwagen ab, in dem kein Wort der Fäkaliensprache fehlt. Und das Ganze erfüllt nicht nur den Tatbestand des § 185 (Beleidigung), sondern gleichzeitig § 186 (üble Nachrede) und § 187 (Verleumdung). Ich erspare mir an dieser Stelle das „Gedicht“ im Original aufzugreifen, da es nahezu allen Lesern bekannt sein dürfte. Ansonsten kann man sich es (trotz „offizieller“ Löschung in der ZDF-Mediathek) mit drei Mausklicken auf YouTube anschauen.
Dass der Erdogan kein Waisenknabe ist, wissen wir alle und dass in der Türkei gerade Grundrechte wie z.B. die Pressefreiheit und auch Menschenrechte mit Füßen getreten werden ist offensichtlich. Aber das berechtigt nicht, den dafür Hauptverantwortlichen als „Ziegenficker“ und „Konsument von Kinderpornofilmen“ zu bezeichnen. In den insgesamt zwölf Zeilen des „Gedichts“ ist in jeder Zeile ein Schlag unter die Gürtellinie enthalten. Wo bleibt denn da die Verhältnismäßigkeit, wenn sich jetzt „Gutmenschen“ über den Angriff auf die Pressefreiheit aufregen, die gleiche Gruppe aber den Enkel des singenden Dachdeckermeisters Ernst Neger auffordert, sein angeblich rassistisches Logo zu ändern. Und mit der Zusatz-Bemerkung: „Das ist jetzt Satire“ nehme ich einer solchen Verbal-Orgie nicht die Schärfe.
Alle, die den Finger der „Pressefreiheit“ heben, können das ja bei nächster Gelegenheit mal ausprobieren. Wenn Sie das nächste Mal die berühmte Minute zu spät zu Ihrem Auto kommen und der Ordnungspolizist gerade das „Knöllchen“ unter Ihren Scheibenwischer gesteckt hat, sagen sie zum ihm „das ist jetzt Satire“ und anschließend alles, was sie gerade denken. Auf den darauf folgenden Richterspruch bin ich mal gespannt.
Wenn man sieht, wie „Glaubensbrüder“ von Herrn Erdogan auf – in unseren Augen – völlig harmlose publizistische Beiträge reagiert haben, fehlt mir hier jedes Verständnis dafür, einen solchen Brandbeschleuniger ins Feuer zu gießen. Charlie Hebdo und das Kulturzentrum in Kopenhagen lassen grüßen. Hier haben wir es mit einer Frontalattacke auf die Mannesehre zu tun. Auch wenn der Adressat hier einem irdischen Dasein fristet. In diversen Fußball-Kreisligen erleben wir doch wöchentlich (und das bitte nicht als Vorwurf verstehen), wie der in diesem Fall angegriffene Kulturkreis mit Verbal-Attacken und vor allem den Angriff auf die Ehre umgeht. Meister der Diplomatie sind die Jungs jedenfalls nicht. Aber unabhängig davon hätte wohl auch mancher „Landsmann“ von Herrn Böhmermann Probleme damit, sich nach einer solchen „Ansage“ nicht in den Bereich des § 223 STGB zu begeben. Im Klartext: Früher, in meiner Schulzeit (als vieles – aber nicht alles – besser war), hätte es für solche Beleidigungen höchstwahrscheinlich „eine aufs Maul“ gegeben. Heute wird ja noch auf den am Boden Liegenden eingetreten.
So ist es in diesem Fall absolut richtig und notwendig, dass sich da Angela Merkel einschaltet und versucht, den angerichteten Schaden auf höchster politischer Ebene zu begrenzen. Schließlich handelt es sich bei dem ZDF, das diesen umstrittenen Beitrag ausstrahlte, um eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt. Dass – wenn überhaupt – einzig Positive an der ganzen Diskussion ist, dass wohl über eine Abschaffung des § 103 STGB (der das Delikt der „Majestätsbeleidigung“ regelt) nachgedacht wird. Diesen Paragraphen brauchen wir in der heutigen Zeit nicht mehr, denn „Majestäten“ gibt es nicht mehr. Außerdem steht er im Widerspruch zum wichtigsten Gesetz, nämlich Artikel 1 des Grundgesetzes.
Völlig untergegangen ist in dieser Nachrichtenlage der eigentliche Ursprung dieser ganzen Entwicklung. In einer umgetexteten Form des Song-Klassikers von Nena „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ wurde in der NDR-Sendung „Extra drei“ mit der Version „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ auf Missstände in der Türkei hingewiesen und das selbstherrliche Auftreten des türkischen Präsidenten kritisiert. Dass das darauf folgende Einbestellen des deutschen Botschafters völlig überzogen war, kann ihm Angela Merkel im Zuge der anstehenden diplomatischen Gespräche wohl hoffentlich auch vermitteln. Aber im Gegensatz zur Wortwahl von Böhmermann geht dieser Text unter FSK 12 durch.