Steueralarm für Rentner – 57.500 Aufforderungen zur Abgabe einer Steuererklärung an hessische Rentner verschickt. Mit dieser Maßnahme hat das hessische Finanzministerium für geschätzte 500.000 schlaflose Nächte in den hessischen Senioren-Schlafzimmern gesorgt. Zunächst die gute Nachricht: In 490.000 Fällen waren die schlaflosen Nächte für die Katz – also unbegründet. Aber wenn wir uns diese Problematik mal etwas näher anschauen, ist das für mich ein mittelschwerer Skandal, verursacht durch ein voreiliges „auf’s Knöpje drücke“ desjenigen, der damit den Versand dieser Mitteilungen ausgelöst hat. Was sind die Hintergründe des Ganzen ? Mit der Reform des Alterseinkünfte-Gesetzes im Jahr 2005 hat sich der Gesetzgeber zu einer schrittweise in Kraft tretenden stärkeren Besteuerung der Renten entschieden. Waren bis zu diesem Zeitpunkt Renten immer nur mit der Hälfte des Betrages steuerpflichtig, steigt dieser Prozentsatz um 2% pro Jahr an, an dem man nach 2005 in Rente geht. Wer also 2010 erstmals Rente bezieht, muss 60% des Betrags versteuern und wer 2015 in Rente geht 70%. Wichtig dabei ist, dass der Prozentsatz, der im Jahr des erstmaligen Rentenbezugs gilt, für den Rest des Lebens festgeschrieben bleibt. Der wichtigste Begriff für Rentner lautet: GRUNDFREIBETRAG. Der liegt bei ca. 8.000 € pro Person, d.h. ein Ehepaar zahlt für die ersten 16.000 € zu versteuerndes Einkommen (und das können bis zu 32.000 € Rente p.a. sein ,da diese ja nur zu 50% einfliesst) überhaupt keine Steuern. Dazu kommen weitere Freibeträge für Krankenversicherung, evtl. Behinderten-Pauschbeträge (fast jeder der über 60-jährigen hat ja irgendein „Wehwehchen“, die sich auch schnell auf 5.000 € im Jahr summieren können. Um für alle Betroffenen einen kleinen „Schnell-Check“ zu machen und um die Frage „Muss ich Steuern zahlen oder nicht ?“, zu beantworten, nehmen wir mal „Backsteins Erna“, die seit 50 Jahren mit „Backsteins Dieter“ verheiratet ist, als Beispiel. Dieter kriegt seit dem Jahr 2000 1.500 € monatliche Rente und Erna seit dem Jahr 2002 250 € Rente. Die beiden haben in ihrem Haus noch eine Wohnung vermietet, die 450 € Mieteinnahmen im Monat (=5.400 € im Jahr) bringt. Außerdem haben Sie 100.000 € auf der Bank liegen, die 1,5% Zinsen im Jahr bringen u. Dieter trainiert noch die 2. Mannschaft des örtlichen Fußballvereins, wofür er 150 € im Monat bekommt. Wenn Sie sich jetzt ärmer als die beiden fühlen, müssen Sie sich (zumindestens wegen dem Finanzamt u. drohender Steuerforderungen) keine Sorgen machen. 21.000 € Rente zusammen mit 50% bewertet ergeben 10.500 € p.a. Die Zinsen bleiben steuerfrei, da es in diesem Bereich einen Freibetrag von 1.600 € gibt. Ebenso das Trainer-Gehalt. Hier bleiben nach der derzeitigen Regelung bis zu 2.100 € p.a. steuerfrei. Bleiben noch die 5.400 € Miete, die das Einkommen auf 15.900 € erhöhen. – Fazit: Backsteins bleiben steuerfrei ! Und noch nicht berücksichtigt sind hier: Reparaturen, die auf die Mietwohnung entfallen, und die o.g. zusätzlichen Freibeträge, sodass Erna auch noch 300 € monatlich beim Aldi an der Kasse dazu verdienen kann, ohne dass voraussichtlich dann Steuern anfallen. Obendrein können beide auch noch einem sogenannten Minijob (bis zu 400 € mtl., ab 2013: 450 € mtl.) nachgehen, da in diesem Fall der Arbeitgeber die kompletten Abgaben trägt. Also viel Wind um nichts in Sachen Rentner. Aber ich komme nochmal auf die gefühlten 490.000 schlaflosen Nächte zurück. Bei dieser Generation lösen Briefe von Behörden – seien sie berechtigt oder nicht – in der Regel erhöhte Adrenalinschübe aus. In der heutigen Zeit können sich die Behörden per Kontenabfrage nahezu lückenlos einen Überblick über die Zahlungsströme und damit auch Einkommen der Bürger verschaffen. Und mal so eben eine Steuererklärung auszufüllen, ist für einen 80-jährigen, der das seit 20 Jahren nicht mehr gemacht hat, ein richtiges Problem. An dieser Arbeit können auch die zahlreichen Steuerberater in unserem Land keine Freude haben, da das erzielte Honorar im Falle des Durchschnitts-Rentners in keinem Verhältnis zum Aufwand steht. Das geht doch schon damit los, wenn die Leute die notwendigen Unterlagen zusammen suchen müssen und a) nicht wissen, was z. B. eine „Ertragsbescheinigung Ihres Kreditinstituts“ ist und b) wenn sie es wissen, oftmals die Unterlagen dann nicht finden und mühsam Ersatzbescheinigungen bestellt werden müssen, die dann obendrein auch wieder Geld kosten. Und das alles, weil in einem von 10 Fällen dann vielleicht 200 € Steuernachzahlung winken ? Da ist die Soße – auch in der Finanzverwaltung – teurer als der Braten. Und die 200-300 €, die dann ein Rentner für eine Steuererklärung zahlen muss, die sich im Nachhinein als überflüssig herausstellt, sind für mich ein Skandal. Das Augenmerk der Finanzverwaltung sollte auf den großen Fischen liegen, da schwimmen auch in der heutigen Zeit immer noch genügend freie rum. Da rentiert es sich dann wenigstens.
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Über mich
- Markus Stillger ist Gründer und Inhaber der Stillger & Stahl Vermögensberatung und der MB Fund Advisory aus Limburg an der Lahn.
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