Dünn drüber oder genau hinschauen
„Den deutschen Privathaushalten sind durch die Niedrigzinsen seit 2010 Einnahmen in Höhe von 344 Milliarden Euro entgangen. Zu diesem Ergebnis kommt die DZ Bank in einer aktuellen Studie.“ Nachzulesen auf „Spiegel-Online“ am 22. Mai. Außerdem, so die Strategen des genossenschaftlichen Instituts, kommen im laufenden Jahr 92 Milliarden dazu.
Und wie man in der Zusammenfassung der Studie weiterlesen kann, werden die armen Sparer jetzt auch noch von der langsam ansteigenden Inflation zusätzlich belastet. Eine Steilvorlage für die Stammtische, an denen über die EZB und Mario Draghi geschimpft und gelästert wird, was das Zeug hält.
Aber das Ganze ist auch ein Musterbeispiel dafür, wie man den Mainstream in die gewünschte Richtung lenkt. Man muss sich nur die Mühe machen und die Studie der DZ-Bank einmal selber lesen und sich nicht auf Zusammenfassungen verlassen. Und außerdem soll es ja, außer dem Finanzminister, auch eine Klientel geben, die von den niedrigen Zinsen profitiert.
Bereits am Ende von Seite 1 der insgesamt 24-seitigen Studie finden wir die Lösung für die armen Sparer. „Langfristig könnte daher eine ausgewogene Portfoliostruktur, die neben Zinseinnahmen auch stärker Dividendenerträge und Kursgewinne ermöglicht, Abhilfe schaffen.“ – auf Deutsch: „Jammert nicht über die Zinsen, kauft halt ein paar gute Aktien (oder Aktienfonds) dazu!“
Seit 30 Jahren fallende Zinsen
Was mich in der heutigen Zeit immer wieder wundert ist, dass es Leute mit angeblich wirtschaftlichem Sachverstand gibt, die steigende Zinsen für gut halten oder dies öffentlich einfordern. Zugegeben, wir leben seit 30 Jahren mit einem Zinstrend, der im Prinzip nur eine Richtung kennt, nämlich nach unten. Und wenn man genau hinschaut – auf Seite 3 der Studie findet man eine sehr schöne Grafik – hat in den letzten 20 Jahren jede auch nur ansatzweise einsetzende Korrektur dieses Trends (1999-2001, 2006-2008 und 2011) zu starken Verwerfungen an den Aktienmärkten geführt. Aber ganz im Ernst: Wer glaubt denn, dass Europa künftig mit Zinssätzen von vier oder fünf Prozent leben kann. Die öffentlichen Haushalte wären nicht mehr refinanzierbar, die Bauindustrie könnte Kurzarbeit anmelden und Start-Up Unternehmen würden gar nicht erst gegründet. Leute es macht keinen Sinn alten Zeiten hinter her zu trauern, sondern man muss sich auf die neue Welt einstellen, und die ist Scharia-konform und heißt „Nullzins“. Ansonsten halte ich es weniger mit dem Islam, sondern hebe bei Gelegenheit immer wieder mal das Glas auf das Wohl von Mario Draghi. Und habe dabei immer meinen Spaß in die verdutzten Gesichter meiner Gegenüber zu schauen, die das oft zunächst gar nicht verstehen. Dass die Arbeitslosenzahl in Deutschland im Mai 2017 unter 2,5 Millionen gefallen ist, haben wir jedenfalls nicht unserer Arbeitsministerin zu verdanken, da schicke ich den Gruß eher an die EZB.
Dass „zinsbasierte“ Produkte wie Bausparen und Lebens- bzw. Rentenversicherungen überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben, ist aus meiner Sicht nur dem weit verbreiteten finanziellen Analphabetismus in Deutschland zu erklären. Bei den meisten reicht es – wenn überhaupt – für die Grundrechenarten. Bei Prozentrechnen und Dreisatz trennt sich schon die Spreu vom Weizen. Und die finanzmathematischen Königsdisziplinen Zinseszinsrechnung bzw. Exponentialrechnung können viele schon nicht fehlerfrei schreiben.
Die Aktien-Hausse fängt gerade an zu laufen
Mir soll bloß keiner mit dem Märchen kommen, die seit 2009 anhaltende Aktienhausse verliert im neunten Jahr ihre Kraft. Im Jahr 2011 hatten wir eine Korrektur von 7.527 DAX-Punkten auf 5.072 Punkte, was einem Rückgang von 33% entspricht. Und in 2015/2016 korrigierte der Markt von 12.374 Punkten bis auf 8.752 Punkte (30%). In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe ich gelernt, bei 30% Rückgang ist das Ende der Fahnenstange bei einem Crash erreicht. In den Jahren 2002 und 2008 wurden wir zwar eines Besseren belehrt, aber für mich heißt das auch, 2011 und 2015/2016 wurde die Uhr auf null zurückgedreht. Für mich hat die Hausse am 11.2.2016 begonnen und ist demzufolge noch verdammt jung.