Seit vergangenem Donnerstag dürfte es auch der letzte in unserem Land mitbekommen haben: Der Zins ist abgeschafft. Mario Draghi , der Präsident der europäischen Zentralbank (EZB), verkündete, dass der Leitzins von 0,05 Prozent auf 0,0 Prozent gesenkt wird. Die Fach- aber auch die Boulevardpresse stürzte sich auf diese Nachricht wie ein Rudel Geier auf ein verendetes Rind in der Wüste. Dabei gab es eigentlich nichts wirklich Neues zu vermelden. Ob die Leitzinsen jetzt bei 0,0 Prozent, 0,1 Prozent oder 1,5 Prozent stehen, macht keinen großen Unterschied. Und darüber, dass der Zins faktisch auf dem Friedhof liegt, wird auch nicht erst seit vergangenem Donnerstag, sondern schon seit ein bis zwei Jahren diskutiert.
Was mich wundert, ist die teilweise massive Kritik am Vorgehen der EZB. Im Grunde hat sie doch gar keine andere Wahl. Und viele der Kritiker, die in das große Horn derer blasen, die sich höhere Zinsen wünschen, sollten mal zu Ende denken, was das denn eigentlich bedeutet. Eine alte Grundregel, die in meiner Studienzeit vor 30 Jahren jeder Wirtschaftsstudent, egal ob BWL (Betriebswirtschaft, mit der kleinen Brille) oder VWL (Volkswirtschaft, mit dem Blick fürs Ganze), in der ersten Vorlesung gelernt hat, lautete: „Niedrige Zinsen stimulieren die Konjunktur.“ Und wenn es die Konjunktur „zu doll trieb“ war die Zinspolitik DAS MITTEL, um mit Erhöhungen auf die Bremse zu treten. Wer in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung (Anfang der 90er Jahre) ein Haus baute, wird sich erinnern, dass Baufinanzierungsgespräche mit der Bank damals nach dem Motto abliefen „Wollt Ihr 9,0 Prozent für zehn Jahre fest, oder lieber 9,75 Prozent variabel?“. Lediglich Mitarbeiter der damaligen Hoechst AG konnten sich bei Ihrer Pensionskasse zum seinerzeitigen Superzins von 6,5 Prozent refinanzieren. Deshalb sollten alle, die noch mit der Tilgung des eigenen Häuschens beschäftigt sind, dem Herrn Draghi einen Dankesbrief schicken, anstatt auf ihn zu schimpfen. Den gleichen Rat kann ich vielen Arbeitnehmern geben, indem ich sage: „Schaut mal auf Eure Lohnsteuerkarte, wo ihr beschäftigt seid und überlegt, ob das Geschäftsmodell Eures Arbeitgebers auch mit einem Zinsniveau von 5 Prozent noch funktioniert?“. In der Bauindustrie, in der Automobilindustrie oder auch in der gesamten Energiewirtschaft (sowohl bei erneuerbaren Energien als auch bei den konventionellen Trägern) würden dann die Lichter ausgehen. Und – last but not least – die Mutter aller Bierdeckel-Rechnungen: Zwei Billionen Euro Staatsverschuldung kosten den Bund bei 0,1 Prozent Zinsen gerade mal zwei Milliarden Zinsen pro Jahr. Bei einem Zinsniveau von vier Prozent wären das 80 Milliarden. Wo soll denn die Differenz von 78 Milliarden herkommen ?
Allen Haushaltsexperten in der Politik muss man allerdings ins Stammbuch schreiben: „Schaut zu, dass ihr ausgeglichene Etats produziert (und auch einhaltet!), und dass am Ende des Jahres auch noch ein paar Euros in der Kasse sind, um die Nettoverschuldung zurück fahren zu können“. Wenn nicht jetzt, wann dann ? Wir haben nämlich – dank des Euros – die paradoxe Situation, dass wir in Deutschland eine Konjunkturlage haben, die im Vergleich zu früheren Zeiten eigentlich ein deutlich höheres Zinsniveau rechtfertigt. Das hat für die Staatskasse nämlich neben den niedrigen Zinsen auch den weiteren Vorteil, dass die Steuereinnahmen sprudeln. In den südlichen Euro-Ländern dagegen schwächelt die Wirtschaft nach wie vor. Und da der Euro so konzipiert ist, dass die EZB als „Hüter des Zinses“ nicht unterschiedliche Leitzinsen für jedes Land festlegen kann, bestimmt das schwächste Glied in der Kette, wo die Reise hingeht.
Aber „Nullzinsen“ sind ja kein rein europäisches Phänomen. Auch in den USA und in Japan liegen die Leitzinsen nahezu bei null, in Japan sogar schon seit fast 20 Jahren. Als reinen Populismus empfinde ich das immer wieder „aufgewärmte“ Argument, „der Sparer wird enteignet“. Das ist genauso falsch, wie die Aussage „es lohnt sich nicht mehr zu sparen“. Man muss nur anders „sparen“. Und man muss berücksichtigen, dass wir momentan ja auch so gut wie keine Inflation haben. Deshalb gilt auch für den „altmodischen Sparer“: Lieber 0 Prozent Zinsen und keine Inflation, als 5 Prozent Zinsen, die man versteuern muss und 3,5 Prozent Inflation. Apropos Inflation: Normalerweise scheuen Sparer und auch Notenbanken diesen Begriff wie der Teufel das Weihwasser. Jetzt auf einmal werden aber rückläufige Inflationsraten als negatives Zeichen interpretiert. Das versteh wer will – ich jedenfalls nicht. Von einer klassischen Deflation, die Anfang der 30er Jahre im letzten Jahrhundert die große Weltwirtschaftskrise ausgelöst hat, sind wir jedenfalls weit entfernt. Getoppt wird dieser ganze Unsinn noch von den Wirtschaftsexperten, die den Verfall des Ölpreises als Gefahr für die Weltwirtschaft sehen. Da hört man dann das Argument: „Den Scheichs geht die Kohle aus, die stehen dann unter Umständen nicht mehr für die Rettung von in Not geratenen Unternehmen zur Verfügung.“ Also ich bin lieber „Retter“, als dass ich mich retten lasse. Und es ist ein schönes Gefühl, an der Tanksäule (zumindest phasenweise) zu sehen, dass der Anzeiger der Füllmenge schneller zählt, als der Zeiger, der den Preis der Tankfüllung anzeigt. Das Geld, das die Leute beim Tanken sparen, steht für anderweitige Konsumzwecke zur Verfügung – für mich ist die Ölpreisentwicklung ein Segen und ein Konjunkturprogramm vom Feinsten. Und für in Not geratene Ölscheichs werden wir wohl noch ein Plätzchen in irgendeiner Unterkunft frei haben. Aber zurück zum Kernproblem: Wie geht man am besten mit der Situation um, dass es keinen risikolosen Zins mehr gibt? Was sind die Alternativen? Aktien, Immobilien oder lieber Gold? In den 90er Jahren wäre es am besten gewesen, sein ganzes Geld in Aktien zu stecken (der DAX ist vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2000 um 500 Prozent gestiegen). Dann kamen von 2000 bis 2011 „goldene Zeiten“ für das Edelmetall (ebenfalls +500% – in Euro gerechnet) und seit 2011 ist nach 20 Jahren Flaute auch der Immobilienmarkt in Deutschland „angesprungen“. Der Blick in den Rückspiegel hilft uns hier aber nur bedingt. Und Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen (sagte schon Winston Churchill). Mein Rat: Machen Sie ihren persönlichen Gemischtwarenladen auf – von jedem etwas. Und noch was: Im „Tante-Emma-Laden“ ist es zwangsläufig etwas teurer, als im Online-Portal. Aber dafür kann ich die „Tante Emma“ fragen, wenn ich ein Problem habe. Mit der „Tante“ im Call-Center ist das ungleich schwerer. Gute Finanzberatung hat ihren Preis ! – wie im übrigen alles andere auch.