Sehr geehrter Herr Blatter…

20 Juni 2012 von Max Kommentieren »

…hiermit bewerbe ich mich als Torrichter bei der WM 2014. Mittlerweile brauche ich zwar beim Zeitungslesen eine Lesehilfe, aber ansonsten kann ich Ihnen versichern, dass ich voll konzentriert bei der Sache bin und mich auch ein ganzer Bus voll brasilianischer Schönheiten hinter dem Tor nicht von meiner Aufgabe ablenken wird.

Seit dem Spiel Ukraine gegen England am vergangenen Dienstag werden sicherlich einige Bewerbungen dieser Art in der FIFA-Zentrale am Züricher Sonnenberg eingegangen sein. Allerdings ist es aus zwei Gründen so gut wie unmöglich, sich auf diese Art und Weise einen der besten Plätze bei der kommenden WM-Endrunde in Brasilien im Stadion zu sichern. Grund Nr. 1: Die sogenannten „Torrichter“ sind ebenso wie die Schiris und Linienrichter ausgebildete Unparteiische, die sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in diese Position regelrecht „hochgearbeitet“ haben. Grund Nr. 2 (und hier wage ich eine Prognose): Bei der WM 2014 wird erstmals eine Torkamera zum Einsatz kommen und diesen „Aushilfsjob“ überflüssig machen. Es muss bei einem UEFA-Cup-Spiel in der Saison 2009/2010 gewesen sein, als ich mir nach einem Steilpass verwundert die Augen rieb, weil da noch irgendein „Rumpelstilzchen“ in einem gelben Hemd im Strafraum herumturnte. Da werden jetzt „Torrichter“ testweise eingesetzt, wurde ich dann aufgeklärt. Damals bewegten sich die Torrichter auch noch bis zur Strafraumlinie innerhalb des Spielfelds. Jeder, der mal aktiv gegen den Ball getreten hat, weiß, dass so etwas, je nach Spielsituation, durchaus irritierend wirken kann, wenn neben dem Schiedsrichter sich ein weiterer „Fremdkörper“ auf dem Spielfeld befindet. Seit der Saison 2011/2012 wurden dann die Unparteiischen Nr. 4 und 5 auch in der Champions-League eingesetzt, ohne dass es auch nur bei einem einzigen Spiel eine Situation gab, wo einer dieser Herren gebraucht wurde. Beim diesjährigen Champions-League-Finale hätte ich mir gewünscht, der hätte dem Arjen Robben mal mit der Fahne gegen den Kopf gehauen und gesagt „Jetzt schieß die nächste Ecke mal etwas ordentlicher, nachdem Du jetzt schon 12 Stück versemmelt hast“  Ausgerechnet bei der einzigen Situation im Profi-Fussball in den letzten drei Jahren, wo man denn auf einen dieser „Experten“ an der Linie angewiesen gewesen wäre (WM Achtelfinale Deutschland gegen England 2010), war der Platz an der Torlinie verwaist, weil man sich auf FIFA-Ebene gegen den Einsatz von Torrichtern ausgesprochen hatte. Sind halt alles alte weise Männer in der FIFA-Kommission (der Theo Zwanziger möge mir den kurzen Einwurf verzeihen). Am Dienstagabend um 21:55 MEZ war dann in der Donbass-Arena in Donezk nach drei Jahren endlich die Stunde des Torrichters gekommen. Ein abgefälschter Schuss des ukrainischen Stürmers Dewic wurde von Englands Abwehrrecke John Terry mittels einer spektakulären Aktion aus dem Tor gekratzt. Und zwar deutlich hinter der Torlinie, wie mehrfach in der Zeitlupe zu sehen war. Der Schiedsrichter muss ohne diese Zeitlupe auskommen, aber dafür hatte sein eigens zu diesem Zweck eingesetzter Assistent den denkbar besten Platz im Stadion, um die Situation zu beurteilen. Aber der Ungar Istvan Vad leistete sich einen Blackout, der den armen Kerl wohl für den Rest seines Lebens verfolgen wird. Dabei ist das ein international erfahrener Mann aus einer fussballbesessenen Familie. Großvater, Vater und auch seine Schwester sind bzw. waren als Referees aktiv.  Er hat laut www.transfermarkt.de  114 Erstligaspiele in Ungarn gepfiffen und auch eine zweistellige Zahl an internationalen Einsätzen hinter sich. Aber das alles schützt nicht davor, im entscheidenden Moment die falsche Entscheidung zu treffen. Und ARD-Analyst Mehmet Scholl (der mir übrigens deutlich besser gefällt, als der manchmal lustlos wirkende Oli Kahn beim ZDF) hat das treffend kommentiert: „Wahrscheinlich hat er schon Sekunden später gemerkt, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber das Brutale in seiner Situation ist, er kann es nicht wieder gut machen.“ Ein Schiedsrichter kann wenigstens noch eine Konzessionsentscheidung im weiteren Spielverlauf treffen, aber das „arme Würstchen“ in der Torrichter-Funktion bleibt für immer der Sündenbock. Deshalb liebe UEFA-Exekutive: Schafft diesen Job ab, der hilft keinem weiter. In einer Online-Umfrage von Bild.de sprachen sich übrigens 75% für die Einführung einer Torkamera aus, aber immerhin 23% sagten „Schiri und zwei Winkemänner sind genug, der Fussball lebt auch von den Diskussionen über Fehlentscheidungen.“

Ich sage: Das gleicht sich alles aus im Leben – gerade die Engländer wissen das seit 1966, 2010 und vergangenen Dienstag am besten.