Piraten entern die Politik

21 September 2011 von Max Kommentieren »

Als ich die erste Hochrechnung zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am vergangenen Sonntag gesehen habe, war mein erster Gedanke „Ist heute der 1. April ?“. Mit einem Stimmenanteil von gut 9% schaffte „Die Piratenpartei“ erstmals den Einzug in ein Landesparlament. Piratenpartei ? Für mich gehörten die immer in die Abteilung „Tierschutzpartei“, „Partei bibeltreuer Christen“ oder „Die Violetten“. Ein Blick auf das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl 2009 zeigt allerdings einen ersten Trend. Die damals stärkste Partei (CDU) kam auf 11.828.277 gültige Zweit-Stimmen, während die Piratenpartei –nahezu unbemerkt- als größte der „unter 5%-Parteien“ mit 847.470 Stimmen fast 2% „Marktanteil“ hatte. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg (Ende März 2011) erzielte die „Piratenpartei“ mit über 100.000 Stimmen fast die gleiche Stimmenanzahl wie die Linkspartei. Und in der Politik gilt nun mal auch wie für Sport- oder Gesangvereine der Grundsatz „Man muss sich um den Nachwuchs kümmern.“ Alle Analysen, die sich seit vergangenen Sonntag mit dieser Wahlüberraschung auseinandersetzen, sagen im Kern aus: Bei dieser Gruppierung handelt es sich um internetaffine Technikfreaks. Und deren Anteil ist bei den jungen, erstmals wahlberechtigten Bürgern, deutlich höher als bei denen, die biologisch bedingt dieses Mal nicht mehr wählen konnten. Wenn man sich das 26-seitige Grundsatzprogramm der Piratenpartei dann mal anschaut, merkt man sehr schnell, dass die Themen „Internet“ und “freier Zugang zu Informationen für alle Bürger“ die dominierenden Punkte sind. Wichtige Themen wie „Gesundheit“, „Wirtschaft“, „Steuern“ oder „Renten“ bleiben nahezu völlig außen vor. Die „Piraten“ haben kaum genügend Mitglieder, um alle Posten, die durch dieses überraschende Wahlergebnis geschaffen wurden, zu besetzen. Das alles sind für mich Anzeichen, dass die Bereitschaft „echte politische Arbeit“ abzuliefern bisher eher eine untergeordnete Rolle bei allen Beteiligten spielte und das ganze eher als eine Art „Protest-“ oder „Jux-Veranstaltung“ angesehen wurde. Aber eine Wahl ist kein „Sackhüpfen“ oder „Deutschland-sucht-den-Superstar-Wettbewerb.“ Fast jeder zehnte Wähler in Berlin hat gesagt „von dieser Truppe möchte ich regiert werden.“ Das ist ein handfester Wählerauftrag, genauso wie es die 1,8% Klatsche für die FDP in die andere Richtung war, was die Presse zu Schlagzeilen wie „Merkel regiert mit ‚Sonstigen‘ “ veranlasste.

Jetzt kann man zwar sagen „Dieses Ergebnis muss man nicht so ernst nehmen. Die haben viele aus Protest gewählt, weil Sie unzufrieden mit der politischen Arbeit in Deutschland sind. Außerdem gibt es gerade in Berlin ja auch ein ziemlich schräges Wahlpublikum, das muss man nicht auf die ganze Republik übertragen.“ Ich sehe das allerdings etwas anders. Das Wahlergebnis in Berlin war für die etablierten Parteien ein deutlicher Warnschuss, dass sich in der Außendarstellung der Politik etwas ändern muss. Und ein Herr Wowereit sollte alles andere als stolz auf sein Ergebnis von 28,3% sein. Schließlich haben ihn 71,7% nicht gewählt, von den 40% aller Wahlberechtigten, die gleich zu Hause geblieben sind, ganz zu schweigen. Für mich gab es bei dieser Wahl nach dem derzeitigen Stand nur Verlierer. Die Piratenpartei steht am Scheideweg. Schafft Sie die Entwicklung zu einer dauerhaften politischen Kraft ? Ich bin gespannt wie sich die Situation in Berlin weiter entwickelt und wie sich die Partei in den nächsten Wochen und Monaten dort präsentiert. In der Politik braucht jede Partei (auch die, die sagen: Alle müssen gleich sein) charismatische Führungspersönlichkeiten. Die sehe ich bei den „Piraten“ derzeit nicht. Aber auch die „Grünen“ haben vor 30 Jahren als Randgruppe angefangen, wo viele gedacht haben „das ist eine Modeerscheinung, das legt sich irgendwann wieder.“ Einen Vorteil haben die „Piraten“. Sie können sich in den kommenden Monaten komplett auf die „Baustelle“ Berlin konzentrieren. Außer einer Landtagswahl in Schleswig Holstein stehen in den kommenden 24 Monaten keine weiteren turnusmäßigen Wahlen auf dem Terminkalender. Diese Zeit sollten die Jungs nutzen, um sich inhaltlich auch zu den bisher vernachlässigten Themen zu positionieren. Und auch wenn gerade viele Jugendliche den Namen „cool“ finden. Vielleicht sollten die Verantwortlichen da auch mal über einen anderen „Vereinsnamen“ nachdenken. Dann könnt’s was werden…

P.S. Mit der heutigen 100. Ausgabe von Limburg-Weilburg-Erleben lasse ich es mir als Kolumnist nicht nehmen, allen Verantwortlichen und Mitarbeitern des Verlags zu diesem Jubiläum zu gratulieren. Ihr seid damit definitiv den Kinderschuhen „entwachsen“ und habt Euch in dieser Zeit am Markt etabliert. Weiter so und auf die nächsten 100 !