Kaum ein Tag verging in der vergangenen Woche, an dem nicht Neuigkeiten aus dem Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators und jetzigem Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarazzin mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“ über die Medien publik wurde.
Was mir dabei aufgefallen ist: Das Buch erschien erst am Mittwoch, aber die ganze Woche vorher wurde über die dort verbreiteten Thesen von allen möglichen Oberschlauen, Wichtigtuern, Dummschwätzern und Nasenbohrern, die meinten den Inhalt kommentieren zu müssen, schon heftigst diskutiert.
Um es vorweg zu nehmen: Mir geht es in diesem Beitrag nicht darum, Inhalte dieses Buches zu bewerten. Dazu müsste ich es erst gelesen haben. Genau das empfehle ich aber auch allen, die vorab ihren Senf dazu geben:
Mund halten – Buch lesen – Hirn einschalten- und dann vielleicht diskutieren und kommentieren.
Sie alle haben doch oft genug erlebt, dass Äußerungen, wenn Sie aus dem kompletten Zusammenhang herausgerissen werden, plötzlich mitunter in einem völlig anderen Licht erscheinen.
Was mir außerdem bei der ganzen Diskussion aufgefallen ist, war die Häufigkeit des Grundtons nach dem Motto „Recht hat der Mann, aber man darf das so nicht sagen“.
Meine Meinung dazu (unabhängig von der Sache und vom Inhalt): Wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit. Jeder kann nicht nur denken, sondern auch sagen was er will (erst recht, wenn er recht hat). Und jeder sollte mal darüber nachdenken, was denn eigentlich schlimmer ist. „Jemand sagt die Wahrheit, die aber so eigentlich nicht ausgesprochen werden kann“ oder „jemand sagt die Unwahrheit, aber das sind genau die Sätze, die alle hören wollen und alle sind sie zufrieden“.
Mir ist da die Variante 1 definitiv lieber und gerade die Politiker aller Couleur, die sich teilweise mit nicht zu überschauender gespielter Entrüstung über Herrn Sarazzin aufregen, sollten sich da einmal Gedanken darüber machen.
Ich befürchte, dass wir den Menschen in diesem Land in den nächsten Jahren noch sehr oft Dinge sagen müssen, die unbequem sind und die viele nicht hören wollen.
Rente mit 67 ?. Wer 1 und 1 zusammenzählen kann, weiß, dass beispielsweise meine Generation der heute 40-50 Jährigen, wenn es einmal so weit ist, nicht über Rente mit 67 diskutieren wird, sondern über die Rente mit 80 !
Mangelnde Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen ? Beinahe täglich liest man in Zeitungsberichten, dass beim Sportverein in X oder beim Gesangverein in Y die Jahreshauptversammlung abgebrochen und neu terminiert wurde, weil sich keine Leute gefunden haben, die ein Vorstandsamt übernehmen wollten. Aber jeder sollte sich mal überlegen, wie denn in unserer Region die Strukturen aussehen, wenn die Vereinsarbeit wegbricht. Hier ist die Politik gefordert, vielleicht auch mal ein paar kleine Steueranreize für Leute, die ein Ehrenamt bekleiden, anzubieten.
Und die ganze demographische Entwicklung (beschrieben mit dem „Unwort bzw -satz“ „zu niedrige Reproduktionsrate, die durch Zuwanderung kompensiert werden muss“ führt dazu, dass sich jeder in diesem Land mit dem Thema „Zuwanderung“ auseinandersetzen muss, wenn wir den Lebensstandard in Deutschland im internationalen Vergleich halten wollten.
Dem Hartz IV Empfänger hierzulande geht es im Jahr 2010 definitiv besser als 85% der Weltbevölkerung. Aber es steht nirgendwo in Stein gemeißelt, dass das auch die nächsten 50 Jahre so bleiben muss.
Der Chefvolkswirt einer Schweizer Großbank sagte unlängst in einem Vortrag sinngemäß: „meine Frau kam aus der Kirche heim und erzählte mir, dass dort eine Kollekte für indische Waisenkinder gemacht wurde. Da hab ich zu ihr gesagt: In 50 Jahren werden Sie in Indien Spenden für die deutschen Rentner sammeln.“
Und auch hier wird nicht nur Herr Sarazzin sagen: Da sollte man mal drüber nachdenken…