50 plus 1 – Fluch oder Segen?

22 September 2017 von Max Kommentieren »

Max Stillger über Tradition und Moderne

In den letzten 20 Jahren hat wohl kaum eine Branche einen derartigen Aufschwung erlebt, wie der Profi-Fußball in Deutschland. Galt Fußball in den 60er und 70er Jahren das vergangenen Jahrhunderts noch als „Volks- „bzw. „Proletensport“, ist ein Bundesligaspiel in der heutigen Zeit ein gesellschaftliches Ereignis, wo vom Arbeiter bis zum Wirtschaftsboss alle Schichten „in der Sache vereint“ mitfiebern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in meiner Jugendzeit heimlich die Schuhe für einen Kumpel mitgebracht habe, der von zu Hause aus keinen Fußball spielen durfte.

Das gab es in jedem Dorf – in der heutigen Zeit undenkbar! In den 70er Jahren hatte mein Heimatverein (FCA Niederbrechen) in der damaligen A-Klasse einen Zuschauerschnitt von 500 Zuschauern und Eintracht Frankfurt war froh, wenn an einem regnerischen Samstagnachmittag gegen den MSV Duisburg mehr als 10.000 Zuschauer den Weg ins Waldstadion gefunden hatten.

Die Kluft zwischen Amateur- und Profi-Fußball wurde mit der flächendeckenden TV-Berichterstattung seit Ende der 80er Jahre immer größer. Gab es in den 70er Jahren noch die traditionelle ARD-Hörfunkkonferenz mit den Reporterlegenden Walter Jasper (Werder Bremen), Oskar Klose (Bayern München), Heinz Eil (Eintracht Frankfurt), Kurt Brumme (1.FC Köln) und Manni Breuckmann (Schalke 04) – um nur einige zu nennen – begann mit ersten Liveübertragung eines Bundesligaspiels (Borussia Mönchengladbach — FC Bayern München am 12. Dezember 1984) eine neue Epoche.

Gleichzeitig begann sich auch das Bild der Vereine zu wandeln. Vom Zigarren rauchenden Präsidenten, der als Allleinherrscher und Mäzen fungierte und oftmals spontane Entscheidungen traf – ich erinnere nur an das legendäre „Prost Bernd, Du bist entlassen“ mit dem Löwen Präsident Karl Heckl 1984 seinen Trainer Bernd Patzke auf dem Oktoberfest begrüßte, hin zu nach modernen kaufmännischen Grundsätzen geführten Wirtschaftsunternehmen. Das Thema „Fußball“ lockt aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung auch immer mehr Kapital an. Und zwar nicht mehr nur als „Spielgeld“ von durchgeknallten, extrovertierten und geltungssüchtigen und – aus welchen Gründen auch immer – zu Reichtum gekommenen schrägen Vögeln, sondern zusehends auch von Investoren, die Ihren Einsatz auch unter Renditeaspekten sehen. Mit der „50+1“ Regel gibt es in Deutschland eine Regel die besagt, dass der Stammverein bei allen Entscheidungen, sowohl im sportlichen, als auch im wirtschaftlichen Bereich stets die Mehrheit der Stimmen und damit die Entscheidungsgewalt hat.

https://de.wikipedia.org/wiki/50%2B1-Regel

Es ist schon interessant einmal zu sehen, welche Vereine ihre Profiabteilung ausgegliedert haben und noch interessanter ist es zu sehen, wer da alles als Geldgeber unterwegs ist.

Renditeorientierte Investoren hassen diese kastrierte Form der „Mitbestimmung“ wie der Teufel das Weihwasser. In der Öffentlichkeit häufen sich deshalb aktuell die Diskussionen über ein „für“ und „wider“ dieser Regel. Ich glaube mittelfristig wird die 50+1 Regel fallen, dafür gibt es zum einen schon zu viele Ausnahmen in Deutschland und – noch wichtiger – im Ausland kennt man eine solche Regel nicht. Und Fußball wird immer mehr ein grenzüberschreitendes Geschäft. Aber eines kann ich den Verantwortlichen der – insbesondere in den Niederungen der Regionalliga oder noch tiefer darbenden – Traditionsvereine heute schon sagen: Verkaufen kann ein Verein seine „Seele“ nur einmal!

Und auch hier ist 1860 München ein Paradebeispiel dafür, was man alles falsch machen kann. Apropos falsch machen: Genauso wie der Fußball mit der flächendeckenden TV-Berichterstattung „groß geworden“ ist, kann dieser Schuss auch nach hinten losgehen, wenn das Rad – wie aktuell – überdreht wird. Ich glaube mit der Aufteilung der TV-Rechte auf mehrere Kanäle hat sich die Liga keinen Gefallen getan.

Das neue Modell ist viel zu kompliziert und schreckt viele – insbesondere ältere und nicht PC-affine Konsumenten ab. Und wenn der mögliche Konsument nicht mehr flächendeckend erreicht wird, ist das ein Wendepunkt und der Anfang vom Ende.