Nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit fand am vergangenen Sonntag das größte Sportereignis des Jahres 2024 auf dem afrikanischen Kontinent ein überraschendes Ende.
Der Gastgeber, die Elfenbeinküste, besiegte im Finale den Favoriten Nigeria mit 2:1, nachdem man in der Vorrunde gegen den gleichen Gegner noch mit 0:1 den Kürzeren gezogen hatte.
Warum schreibe ich zu diesem Thema ? Nun der Fussball hat mich schon in einige Regionen reisen lassen, wo du als „normaler“ Tourist niemals auf die Idee kämst hinzufahren. So konnte ich schon in Albanien, Georgien und den Faroer-Inseln „Länderpunkte“ sammeln bevor im Jahr 2023 drei „bekloppte“ Fussball-Narren auf die Idee kamen „Anfang 2024 ist doch der Afrika-Cup in der Elfenbeinküste, das wär doch eine Gelegenheit da mal hinzufahren.“
Getreu dem Motto „Net schwätze – mache“ waren schnell Flüge, Hotels und Eintrittskarten organisiert. Ein kleiner Vorteil war, dass einer der drei Protagonisten über jahrzehntelange Erfahrung in vielen afrikanischen Ländern verfügt und hauptberuflich als Reiseanbieter für Trips in alle möglichen afrikanischen Länder agiert.
Der angenehme Nebeneffekt Ende Januar und Anfang Februar war natürlich auch, dass man dem tristen Wetter hier mal für 8-10 Tage „Tschüss“ sagen kann.
Die Vorrunde des Wettbewerbs verfolgten wir aus Deutschland. Unser Augenmerk lag auf Achtelfinal und Viertelfinalspielen, die wir dann vor Ort in der Küstenmetropole Abidjan (5 Mio. Einwohner) besuchen wollten.
Im Zuge der Vorrunde fingen „Le Elefants“, wie das Team der Gastgeber genannt wird, dann nach einem Auftaktsieg plötzlich an zu schwächeln und nach einer 0:4 Niederlage im dritten Gruppenspiel gegen Äquatorialguinea wurde mitten im Turnier der Trainer entlassen und man erreichte mit Ach und Krach als viertbester Gruppendritter das Achtelfinale.
Für uns bedeutete das „komplette“ Umplanung, denn anstatt Abidjan, hiessen die Spielorte nun Yamoussoukro und Bouké. Die anspruchsvolle Aufgabe uns auf dem Schwarzmarkt (im tiefsten Afrika ein schönes Wortspiel) Eintrittskarten zu besorgen, war aufgrund unserer jahrzehntelangen Turnier-Erfahrung schnell gelöst.
Was dann im Turnierverlauf passierte war eigentlich unvorstellbar – im Achtelfinale gegen den Senegal dachte ich nach 10 Minuten „die bekommen hier eine Packung mit 5 Stück“. Aber den Gastgebern gelang es – dank einer völlig enthusiastischen Kulisse, die das Team nach vorne peitschte – sich in ein Elfmeterschießen zu retten, das man dann glücklich gewann. Es folgten 4-5 Tage voller Euphorie und Vorfreude im ganzen Land und im Viertelfinale gegen Mali lief dann das gleiche Spiel. Mali war klar besser, stand aber am Ende durch einen Treffer in der Nachspielzeit mit leeren Händen da. Und das ganze Land explodierte in einem unglaublichen Freudentaumel, wie ich ihn in dieser Form noch nie erlebt habe. Dagegen ist selbst die Südtribüne in Dortmund eine „Flüsterveranstaltung“. Leider haben wir Halbfinale und Finale dann nicht mehr live vor Ort erlebt, aber uns war klar, dass die das „Ding jetzt rocken“ und den Titel holen.
Der Song „On vaut rien, mais on est qualifié“ (auf Deutsch: Wir können nichts, aber wir sind weiter) avancierte zum absoluten Lieblingssong der Fans.
Überspitzt könnten wir ja sagen: Den Text haben wir schon, jetzt brauchen wir nur noch die passende Melodie für die EURO 2024. Eine Steilvorlage für die Sportfreunde Stiller.
Aber – und jetzt kommt für mich die eigentliche Erkenntnis dieser Reise (inklusive eines zweitägigen Kurztrips ins benachbarte Ghana)
Wir haben die Chance genutzt, uns einen Eindruck von diesen beiden Ländern abseits der Küste, quasi tief im Innern des Landes zu verschaffen. In Orten wie z. B. Abengouro haben sicher noch nicht viele Leute aus dem Kreis Limburg-Weilburg übernachtet. Sicherlich reichen 4 Tage nicht, um zu verstehen, wie das Leben dieser Menschen bei einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 200 € in der Elfenbeinküste oder 300 € in Ghana strukturiert ist.
Auffällig ist jedenfalls auch hier die Dichte von Mobilfunkgeräten – Jeder hat ein Handy bei sich. Unübersehbar ist auch der hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Bevölkerung. Die Fertilitätsrate (Geburten pro Frau) liegt bei knapp 4, also mehr als doppelt so hoch wie bei uns. Dabei zählen die Elfenbeinküste und Ghana noch zu den „entwickelten“ Ländern in Afrika. In Ländern wie Niger, dem Tschad oder im Kongo bringt eine Frau durchschnittlich 6 Kinder zur Welt.
Und man braucht kein Mathematiker zu sein, um auszurechnen, wo das alles in 20-30 Jahren hinführt. Diskussionen vor Ort über den Klimawandel oder ob in der Stammessprache gegendert werden sollte waren jedenfalls wenig zielführend. Die Leute stehen morgens mit einer Sorge auf, die lautet „wie werde ich (und meine Kinder) heute satt“. Und mit der gleichen Sorge legen sie sich abends hin.
Das Bevölkerungswachstum sorgt dafür, das „Bildung“ nicht flächendeckend bei jedem ankommt und wenn ich dort leben würde, wüsste ich was ich zu tun hätte. Möglichst in jungen Jahren nach Europa oder in die USA. Das kann man diesen Menschen nicht verdenken.
Das kann aber nicht die Lösung sein, das können Europa und die USA nicht leisten, wenn sich hier der „richtige“ Marsch in Bewegung setzt. Wir können nicht die ganze Elfenbeinlüste retten, es reicht nicht mal für eines der 107 Departements. Von Peter Scholl-Latour stammt das Zitat: „Wer Kalkutta retten will, wird selber Kalkutta“. Wer das hier einmal live gesehen hat, weiß das einzuschätzen. Wir müssen den Leuten vor Ort helfen. Nicht „welcome“, sondern „stay at home“ muss die Losung sein. Das Gießkannenprinzip der EU löst die Probleme nicht. Ein Ansatz könnte sein, dass jedes EU Land ein Partnerland in Afrika – quasi als „Pate“ – zugeordnet bekommt und sich dort kümmert.
Wenn wir nichts tun, werden wir irgendwann überrannt werden.
Nach allem, was ich gesehen habe, ist das so sicher wie das Amen in der Kirche.